Lübecker Nachrichten (LN) vom 1.11.1997
zum Erdbeben am 29.10.97 bei Bad Segeberg: x
Großer Schrecken für die Bewohner in und um Quaal:
Für zwei Sekunden bebte die Erde
Von WOLFGANG GLOMBIK
Wenn die Lübecker Nachrichten die Experten nicht mit den Beobachtungen der Quaaler Bürger konfrontiert hätten, wäre denen das lokale Beben mit einer Stärke von vermutlich „nur“ 1,5 auf der Richterskala nicht aufgefallen. Doch in Quaal waren die Menschen beunruhigt und erkundigen sich auch besorgt bei der Polizei.
„Plötzlich gab es einen großen Knall“, berichtete zum Beispiel Rosemarie Büschen. „Mein Mann ist zur Kontrolle sofort nach draußen gelaufen.“ Wenige hundert Meter entfernt spielte Johannes Carstens mit seinen Freunden Skat. „Auf einmal rumpelte es“, erzählte Carstens. Das Haus wurde von einem sekundenlangen „ordentliche Stoß“ bewegt. Carstens vermutete im ersten Moment eine Sprengung.
Carla Knoche aus Quaal hatte schon nachmittags einen kleinen Erdstoß bemerkt. Kurz vor 21 Uhr wurde es noch schlimmer. Jetzt vibrierte das ganze Haus. „Der Schornstein knackte“, berichtete sie.
Die 16jährige Sonja Johannsen hatte gerade ihr Zimmer aufgeräumt. „Es krachte plötzlich und die Decke bewegte sich.“ Sofort stürmte ihr Vater nach oben. Doch der Spuk war nach zwei Sekunden vorbei.
Edith Schramm hatte schon gegen 16 Uhr draußen einen „Rumms“ bemerkt, den sie nicht zuordnen konnte. Später gegen 21 Uhr, sie war gerade zu Bett gegangen, zitterte das ganze Haus. Edith Schramm: „Ich dachte nur, mein Gott“. Auch in der Nachbarschaft waren die Bewohner auf die Straße geeilt. Manche vermuteten eine Explosion oder einen Überschallknall.
Doch das schloß der Seismologe Jürgen Klußmann vom Hamburger Institut für Geophysik gegenüber den LN aus. Eine Explosion konnte der Experte bei der Auswertung der Daten aus der Erdbebenwarte am Kalkberg nicht feststellen. „Das deutet eher auf einen Einsturz hin, da die Bewegung hin zum Zentrum läuft.“ Denkbar sei zum Beispiel, daß sich im Segeberger Salzstockgebiet ein Einsturz ereignet hat (siehe HINTERGRUND). Das kleine Beben, das offensichtlich keine Schäden verursacht hat, habe sich etwa drei bis vier Kilometer nordöstlich von Segeberg um 19:58 Greenwich-Zeit, also 20:58 örtlicher Zeit, ereignet. Das Zentrum des Bebens müßte demnach zwischen den Dörfern Stipsdorf und Quaal liegen. Für Menschen bestand nie eine Gefahr. Auch gegen 15:40 und um 16:33 Uhr sind ähnliche aber sehr viel kleinere Erschütterungen registriert worden. Über die genaue Stärke des Bebens könnten Mitteilungen erst nach einem Vergleich mit anderen Erdbebenstationen gemacht werden, betonte Klußmann.
Bildunterschriften:
1) Das Beben entstand zwischen Quaal und Stipsdorf: Um 19:58 Greenwich-Zeit, d.h. um 20:58 Ortszeit, zeichnete die seismische Station am Kalkberg in Bad Segeberg diese deutliche Erschütterung auf.
2) Die Wände bebten: Auch Sonja Johannsen aus Quaal bemerkte das kurze Beben
3) Nach dem Erdstoß am Mittwoch gingen Dorfbewohner in Quaal auf die Straße, um ihre Häuser zu kontrollieren. Doch bislang ist über Schäden an den Häusern nichts bekannt geworden.
4) Das Haus zitterte: Edith Schramm hatte erst gar nicht an ein Erdbeben gedacht.
weitere Ausarbeitungen, siehe METHODE : Aquifer und Erdfälle
& salztektonische Hochlagen u. mutmaßliche Störungszonen
Link: WWW-Wellenform-Anfragen BGR Datenarchiv Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe
Der Seismograph in der Kalkberhöhle trägt das Stationskürzel BSEG und zeichnet seit dem 20.12.1995 die 3-Komponenten z, n, e (vertikal, nord-süd, ost-west) für die Kanäle bh, lh, hh (1/ 20/ 100 Hz) auf
Zu öffnen sind die Wellenformdateien (hier Mini-SEED) neben anderen mit dem kostenfreien Programm (Java-Applet):
SeisGram2K [ Download-Link siehe Seitenleiste ]
(auffallend ist die Resonanz bei 4Hz...)
Da es sich sehr wahrscheinlich um ein untergründiges Verbruchereignis handelt, erscheint hier das fast 4minütige
"einquietschen" bei etwa 8Hz bis gut zwei Minuten vor dem Einsatz besonders interessant zu sein, und ebenso das fast 5minütige Pendant anfangs bei 19Hz und gegen Ende bei 26Hz ab dem etwa
2sekündigen impulsiven Ereignis (Bild 4). Eine mögliche Interpretation könnte sein, dass es sich bei dem 8Hz-Signal um die akustische Spur einer langsamenen Absetzbewegung eines abgelösten
Anhydritblocks handelt, die aber wieder kurz zum Stillstand kommt, weil dieser sich leicht verkantet. Um 19:58:19 GMT (= UTC, +1 = MEZ) löst sich die erneut aufgebaute Spannung, und der Block
fällt in das oberflächlich gelöste Steinsalz, welches an der Basis des Aquifers sowohl in gelöster als auch in
kristalliner Phase mit freien und mit dem Steinsalzkörper verbundenen
Kristallstrukturen nebeneinander existiert (siehe Bilder
unten Phasenübergänge des Wassers zur
Veranschaulichung). Unter der Last des Anhydritblocks wird das Sole-Salzkristall-Gemisch seitlich herausgpresst bis der Block seinen festen Auflagepunkt erreicht hat.
Dieser Vorgang ist dann in der 19/26Hz-Spur ablesbar. Eine andere Deutung wäre, dass ein Anhydritblock über einem
Aquifer im Bereich des Salzhangs an der Flanke des Diapirs verstürzt ist und den Salzhang in einem
Bett aus teilkristalliner Sole noch ein Stück weit (vielleicht einige Dezimeter) herabgerutscht ist. Dann käme der 26Hz Bereich des Signals den quietschenden Bremsen eines Güterzuges gleich. Der
mobile Anteil der Auflage, nämlich die Sole, würde auch hier seitlich herausgepresst werden, so dass sich die Bremswirkung des kristallinen Anteils ab einem
bestimmten Punkt schnell verstärkt (Anstieg auf 26 Hz) und die sich stetig verlangsamende Bewegung des Blocks am Schluss relativ abrupt stoppt. Sehr wahrscheinlich liegen die unter den
Anydritschollen des Salzdoms gelegenen Aquifere nicht als reine Salzkavernen vor, sondern sind neben der Sole noch mit Sedimenten (feinste Schlämme und Sande) angefüllt, die über die Jahrtausende
eingeflossen sind. Doch auch hier würde es nach dem Verbruchereignis noch eine Absetzbewegung geben, bis der tragende Untergrund eine ausreichende Kompaktheit erreicht
hätte.
Die Größenordnung der Energiefreisetzung bei einer Magnitude von 1,5mL beträgt etwa 5.000.000 Joule.
Das entspricht zum Beispiel der Freisetzung der Lageenergie einer Masse von 500t
(z.B. ein Anhydritblock von 7,5 x 7,5 x 3m) bei einem Sturz um 1m.
Auflösung von Steinsalz zur Veranschaulichung: teilkristalline Salzlösung
brine pool (East Flower Garden Bank)
Phasenübergänge des Wassers zur Veranschaulichung: teilkristalline Lösungen
Fließfacetten
z, n, e south east above
`Particle Motion` von BSEG 29.10.1997 Hauptereignis (Einschwingvorgang) 20:58:18,3 MEZ = 19:58 GMT/
UTC. Der Nullpunkt des Koordinatensystems entspricht dem Standort der seismischen Messstation. Die
den Achsen z,n,e (im kartesischen Koordinatensystem = z, y, x) zugehörigen Werte sind dimensionslos und geben die Winkelverhältnisse bezogen auf den Nullpunkt an-
Animation Particle Motion [Auflösung 480p]
Particle Motion -Darstellung des Mikrobebens (Einsturzbeben über dem Salzstock) von Bad Segeberg bei Quaal 1997 um 20:58 MEZ. Particle Motion stellt den gewünschten Abschnitt eines seismischen Ereignisses im zeitlichen Verlauf entlang aller drei Raumachsen dreidimensional dar.
weltweit verzeichnete seismische Ereignisse in der Übersicht findet man hier:
GEOFON Extended Virtual Network (GEVN)
GEOFON-Programm des GFZ
GeoForschungsZentrum am Helmholtz-Zentrum Potsdam
Gegenüberstellung lokal registrierter seismischer Ereignisse an der Station BSEG (BGR) und global registrierter seismischer Ereignisse GEVN (GFZ) im Zeitraum 14.10.-5.11.2015.
Einige Tage vor und nach den Abrissarbeiten im hier gezeigten Zeitfenster haben keine relevanten lokalen oder globalen seismischen Ereignisse stattgefunden.
Nach dieser Gegenüberstellung lässt sich lediglich das Ereignis 29.10. um 7:39 UTC (Ortszeit 8:39 MEZ) mit den Abrissarbeiten in Verbindung bringen. Die Richtungsangaben zum Herd dieses impulsiven Ereignisses, welche aus der Darstellung Particle Motion abzulesen sind, legen nahe, dass es sich dabei um einen unwirschen Absetz- oder Aufnahmevorgang des beladenen Rollcontainers (Gewicht etwa 10t) am zweiten Standort handelt. Der erste Containerstandort befand sich unmittelbar unter dem Bergschlösschen am David-Kropff-Weg. Dort hat man zunächst die Dachziegel, Holz- und Leichtbauelemente des Gebäudes gesammelt. Der zweite Standort wurde offenbar aus Sicherheitsgründen in größerem Abstand zur Höhle abgesetzt und war der Aufnahme der abgerissenen schweren Ziegelmauerbruchstücke vorbehalten.
Standort des 15m³-Abrollcontainers zwischen `David-Kropff-Weg 3` und der Kreuzung `David-Kropff-Weg / Zufahrt Bergschlösschen` (2.Container-Standort) in Relation zum Seismographen BSEG: Der Seismograph befindet sich mittig im sogenannten Fliegengang bei 37,5m üNN. Der Container stand dazu bei 210° SSW in etwa 100m Entfernung ca.59m üNN.
Kool Savas & Sido, Santiano, Fanta 4, die Kelly Family
und deren Publikum
erzeugen seismische Ereignisse im Kalkbergstadion
Rund 75m entfernt von den Bühnenaufbauten und in einer Entfernung von 90 bis 160m zum Publikum befindet sich abgeschirmt durch hunderttausende Tonnen massiven Anhydritgesteins in der Tiefe der Kalkbegrhöhle die seismische Messstation mit dem Kürzel BSEG. Diese verzeichnet nicht nur Erdbebenwellen aus der ganzen Welt und ebenso regionale Ereignisse, wie das Mikrobeben von 1997 bei dem kleinen Dorf Quaal, sondern auch zB. die Erschütterungen, welche durch den Straßenverkehr in unmittelbarer Nähe verursacht werden.
Am Wochenende 11.+12.5.2018 hatten jeweils am Freitag und am Samstag sowohl die Rapper Kool Savas & Sido und die Shanty-Pop spielende Band Santiano in Bad Segeberg aufgespielt und eine Woche später die Fantastischen Vier und die Kelly Family. Grund genug sich die auf den Servern des BGR (Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe) frei verfügbaren Daten unserer Messstation einmal genauer anzuschauen.
Die Darstellung Helicorder erlaubt die seismischen Ereignisse eines ganzen Tages in einer Übersicht zu betrachten
-hier von 3Uhr Morgens bis 3Uhr Morgens am nächsten Tag:
Die Zeitangaben auf der Z-Achse sind in koordinierter Weltzeit (UTC =GMT) angegeben. Unsere Sommerzeit (MESZ) eilt dieser gegenüber zwei Stunden vor (also UTC+2). Somit sind die beiden augenfälligsten Zeilen nämlich 18Uhr und 19Uhr genau dem Zeitfenster von 20 bis 22 Uhr zuzuordnen, in dem das Sido-Konzert stattfand. Bei Santiano am nächsten Tag sieht es also dem entsprechend (fast) genauso aus. Man erkennt auch ganz deutlich die Vibrationen des Untergrundes der mit Kopfstein gepflasterten Lübecker Straße, welche durch die tagsüber dort viertelstündlich entlang fahrenden Stadtbusse der Linie 7751 verursacht werden.
Während in der vorangegangenen Darstellung nur die Schwingungen einer Raumachse, nämlich vertikal zur Erdoberfläche (z) dargestellt sind, sieht man nun die Schwingungsbewegungen aller drei Raumachsen von 20 bis 22Uhr (zne = vertikale Richtung + Nord-Süd-Richtung + Ost-West-Richtung). Um eine bessere Erkennbarkeit der interessanten Signale zu erreichen, wurden Frequenzen unter 1Hz (natürliche Bodenunruhe, verursacht durch z.B. Wellenschlag der nahen Küsten) herausgefiltert.
In der Darstellung als Spektrogramm ist gut zu erkennen, dass während des Konzertes, also von kurz nach acht bis kurz vor zehn fast durchgängig seismische Ereignisse um 1,5Hz und 3,5Hz generiert wurden. Danach erzeugt die Bewegung der rund 3.500 Konzertgäste, welche das Stadion verlassen, noch etwa eine halbe Stunde lang eine `diffuse Unruhe` zwischen drei und acht Hertz (Frequenzen über 10Hz werden aufgrund der Filter-Einstellungen nicht erfasst und werden vom Boden/Gestein auch so gut wie gar nicht übertragen).
In der Detailansicht der seismischen Schwingungen, welche dieses um 20:24 beginnende etwa zweieinhalb-minütige Musikstück begleiten, lässt sich sehr gut die Schlagzahl des Rhythmus abzählen:
... 160 bis 180bpm überlagert von einem lauteren Schlagwerk mit 80 bis 90bpm (beats per minute), womit wir die Ursachen für die seismischen Schwingungen von um die 1,5Hz und 3Hz gefunden haben. Allerdings sind die Pegel dieser Schwingungen im Durchschnitt nicht sonderlich hoch. Der hochempfindliche Seismograph bemisst hier die durschnittliche Amplitude mit etwa 300 counts. Der Maximalwert beträgt hier allerdings ca. 13.000 counts. Zum Vergleich wurde beispielsweise ein schwaches in fast 500km Entfernung stattgefundenes Erdbeben der Magnitude 4,1 in Polen von dem Seismographen in der Kalkberghöhle bereits mit 376 counts bemessen und das außerordentlich starke Beben bei Fokushima in fast 9.000km Entfernung im Jahre 2011 (Magnitude 8,9) hat hier in Bad Segeberg einen Ausschlag von immerhin 19.700 counts erzeugt.
Santiano am nächsten Tag spielten übrigens phasenweise mit einer Rhytmus-Schlagzahl von 140bpm ein wenig langsamer als Sido & Savas. Und mit einem Höchstwert von etwa 9.000 counts hat dieses Konzert deutlich weniger starke Maxima in den Bodenschwingungen erzeugt als bei den Rappern, wobei der Durchschnitt mit 400 counts allerdings ein wenig höher lag. Für diese Unterschiede werden wohl auch die verschiedenen Tanzstile des Publikums mit ursächlich sein.
Animation Particle Motion [Auflösung 480p]
Particle Motion -Darstellung von ca. 1 Minute und 40 Sekunden der seismischen Ereignisse während des Konzertes von Kool Savas & Sido am 11.05.2018 in der Kalkbergarena in Bad Segeberg, registriert mit dem Seismographen der Station BSEG in der Kalkberghöhle um etwa 20:45. Particle Motion stellt den gewünschten Abschnitt eines seismischen Ereignisses im zeitlichen Verlauf entlang aller drei Raumachsen (also dreidimensional) dar. Der Empfindlichkeit des Seismographen ist es zu verdanken, dass selbst Bewegungen im Mikrometer- und Nanometer-Bereich erfasst werden. Der Luftschall, welcher durch das Soundsystem erzeugt wurde, und der damit einhergehende Körperschall, welcher sich im Boden und Gestein ausbreitet, stellen sicherlich nur eine Komponente des gesamten seismischen Ereignisses dar. Die durch das rhythmische Tanzen, Springen und Schunkeln der etwa 3.500 Konzertbesucher verursachten Schwingungen schlagen sehr wahrscheinlich mit einem weitaus größeren Betrag zu Buche.
Soweit die Fakten. Jetzt die Spekulation:
Schaut man sich das Ereignis um 22:25 MESZ vom 11.5. direkt nach dem Sido-Konzert und nachdem die Zuschauer das Gelände weitestgehend verlassen hatten, etwas genauer an (siehe Bilder 2 und 3), hat dieses auf den ersten Blick große Ähnlichkeit mit einem impulsiven Ereignis. Die Ausschnitt-Vergrößerung und die Darstellung in Particle Motion enthüllen dann aber etwas anderes:
Das Ereignis erstreckt sich mit einer Schwingung von exakt 2,5Hz (entspricht 150 bpm) über einen Zeitraum von fast zwei Minuten.
Animation Particle Motion [Auflösung 480p]
Die Schwingungen dieses seismischen Ereignisses liegen weitestgehend in einer Ebene und bewegen sich annähernd entlang der gleichen Richtung, so dass sich die Grafik wie eine Keule darstellt. In grober Näherung kann man in der Draufsicht die Hauptrichtung der Schwingungen von NO nach SW bestimmen.
In der Seitenansicht ist zu erkennen, dass die Schwingungsebene mit etwa 3° in Richtung Nordost unter den Horizont geneigt ist. Damit lässt sich jetzt vom Seismografen aus ein Richtungsstrahl projizieren, der im Bereich der Kalkbergscholle in der Höhle durch die sogenannte `Senke`, dann in jeweils 55m, 120-160m und 180m unter Grund (uG) die Erdfallgebiete Kalkkuhlen und Kagelsberg bis hin zur nordöstlichen Flanke des Salzstockes unter Quaaler Tannen verläuft (s.u.). Da in dem betroffenen Zeitfenster vom GEOFON Extended Virtual Network (GEVN) des Helmholtz-Zentrum Potsdam kein überregionales seismisches Ereignis (Erdbeben) registriert wurde, könnte man spekulieren, dass dort tatsächlich irgendwo ein Verbruchereignis im oder über dem Salzstock stattgefunden hat. Dieses wäre dann mit etwa 5.000 counts deutlich schwächer als das Hauptereignis des ohnehin schon schwachen Segeberger Erdbebens von 1997 bei Quaal (16.000 counts) und wirklich nur in unmittelbarer Nähe, wenn überhaupt, spürbar gewesen. Allerdings schließen wohl der Signal-Einsatz, die Dauer (etwa 2 Minuten), der fehlende vertikale Schwingungsanteil (z-Achse) dieses Signals und seine konstante Frequenz von 2,5 Hz ein nahe gelegenes impulsives Ereignis wie z.B. einen Verbruch aus. Diese Beobachtung brachte mich nun also zu folgender Mutmaßung: Der Segeberger Salzstock wird per Bohrlochmessungen (Vertical Seismic Profiling) aktuell untersucht. Im Juli 2017 wurden ja zusätzlich zu der Station BSEG in der Kalkberghöhle drei neue Seismometer im Bereich des Salzstockes (in Segeberg auf dem Gelände des WZV, in Stipsdorf und in Klein Gladebrügge) in Anordnung eines `Simultaneous Multiple Array` installiert. Die betrachteten Daten könnten vielleicht so gedeutet werden, dass sich irgendwo im Bereich der nordöstlichen Flanke des Salzstockes ein Bohrloch mit einem Schallgeber in etwa 200m Tiefe befindet, von wo aus der oberflächennahe Abschnitt im Top des Diapir mit Schallwellen gleichsam durchleuchtet wird.
Ein Anlass einmal die "Erdbebenjäger" der Christian-Albrecht-Universität zu befragen! (siehe LN vom 4.1.18, Link zum Artikel)
Auf meinen kleinen Katalog von Fragen erhielt ich freundlicherweise folgende Antworten:
Ziel des seismischen Arrays sei es in erster Linie die Detektionsschwelle für schwache seismische Ereignisse in Schleswig-Holstein zu senken. Die Region um Bad Segeberg bietet sich dafür aus zwei Gründen an:
Zum einen hat man mit der Permanentstation im Kalkberg eine lange Datenreihe zur Verfügung, welche nach bisher unentdeckten Ereignissen durchsucht werden kann, zum anderen ist mit dem Ereignis von 1997 in der Region zumindest ein eindeutig tektonisches Ereignis bekannt.
Für das Auffinden von Anhydrit-Härtlingen im Stadtgebiet und dem möglicherweise damit in Zusammenhang stehenden Vorhandensein von Höhlen oder Salzkavernen ist die Instrumentierung nicht geeignet.
Während der Großveranstaltungen ist die Datenqualität an der Station BSEG reduziert, aber als Signalquelle können diese nicht verwendet werden, dazu sind die Signale zu schwach.
Es gibt im Rahmen der laufenden Untersuchung im Bereich der Nordost-Flanke des Salzstockes (oder auch anderswo) keinen Signalgeber und keine Bohrlochmessungen. Das Array arbeitet rein passiv. Eine Abbildung des Untergrundes ist mit dieser Instrumentierung nicht möglich.
Wenn von 9.000 Konzertbesuchern, welche zusammen etwa 630 t wiegen, die Hälfte gleichsinnig jeder für sich entlang einem kurzen Kreisabschnitt von 30 cm, dessen jeweiliger Mittelpunkt die Bühne ist, mit dem Oberkörper mit einer Geschwindigkeit von 1,5m/s hin und her schaukelt, ergibt sich daraus in der Summe überschlägig eine kinetische Energie von jeweils 177.000 Joule, die mit einer Frequenz von hier 2,5 Hz abwechselnd über das linke (im Uhrzeigersinn) und dann über das rechte Bein (gegen den Uhrzeigersinn) in den Untergrund abgeleitet wird. Dadurch wird der Gesteinskörper, dessen oberirdischen Teil wir als Kalkberg kennen, zu einer rotierenden Schwingung angeregt.
Meine Vermutung, dass die Großveranstaltungen im Kalkbergstadion (besonders die Konzerte) als hervorragender und perfekt positionierter Signalgeber für das seismische Array dienen, mit welchem man seit dem vergangenen Jahr den Untergrund im Stadtgebiet erkundet, wurden mit den Antworten auf meine Fragen zu dem oben erwähnten Projekt des Instituts für Geowissenschaften der Christian-Albrecht-Universität nicht bestätigt. Die Überlegung, dass der Seismometer in der Kalkberghöhle in unmittelbarer Nähe zur seismischen Quelle die Referenz zur eindeutigen Bestimmung des Ursprungssignals diene, welches nach Durchlaufen der untergründigen Strukturen im Stadtgebiet durch diese überprägt, detaillierte Informationen an das neu installierte Array von drei synchronisierten Seismometern liefere, stimmen insofern nicht, als dass die Signale, welche bei den Konzerten im Kalkbergstadion verursacht werden, zu schwach seien und die verwendete Instrumentierung für eine Abbildung des Untergrundes außerdem ungeeignet sei.
Eine derartige Konstellation über einem Salzstock mit Scheitelgraben dürfte dennoch einmalig und ein extrem interessantes Forschungsfeld für die beteiligten Geologen und Geophysiker sein.
Animation Particle Motion [Auflösung 480p]
Nachsatz
Eine geneigte Leserin stellte folgende Frage:
"Und was bedeutet das? Sido und Co sind schlecht für den Kalkberg?"
Nein, das bedeutet es natürlich nicht.
Man muss bedenken, dass sich die seismischen Schwingungen (letztlich sind es Schallwellen), welche von dem hochempfindlichen Seismometer in der Kalkberghöhle registriert werden, im Bereich von Nanometern bis Mikrometern abspielen. Selbst die Vibrationen im Boden, welche die Stadtbusse, die tagsüber viermal in der Stunde die Lübecker-Strasse entlang fahren, erzeugen, sind in dem Seismogrammen in Bild 1 (Helicorder) deutlich erkennbar. Alle hier besprochenen seismischen Ereignisse während der Konzerte spielen sich noch unterhalb der Werte ab, welche manch tausende Kilometer entfernte, starke Erdbeben irgendwo auf der Erdkugel hier in Bad Segeberg sowieso schon erzeugen.
Und was die Nutzung des Kalkberges als Veranstaltungsort angeht;
Man versucht hier stets einen guten Kompromiss zwischen Naturschutzbelangen und dem berechtigten Bedürfnis der Menschen nach Unterhaltung, Entspannung und Spektakel (gemeinhin Kultur genannt) und natürlich auch den monetären Interessen der Betreiber und der Stadt zu finden. Und das ist ja auch in Ordnung so.
Mein Bruder und mein Neffe sind übrigens auf dem Sido-Konzert gewesen und waren begeistert.
Den beiden ist diese kleine Ausarbeitung gewidmet, denn sie wollten sehr gerne wissen, ob das Konzert auch von unserer seismischen Station in der Kalkberghöhle registriert wurde.